Text-Werkstatt

An Texten muss oft herumgefeilt werden, bis man als Autor mit ihnen zufrieden ist. Oft hat die Löschtaste so viel Arbeit, dass sich der virtuelle Mülleimer rasch füllt. So geschehen etwa beim ersten Band der Engelsjünger-Trilogie. Gefühlt blieb nachher der Eindruck, dass das Geschriebene, das die Löschtaste wieder gnadenlos vernichtete, ausgedruckt Dutzende von Seiten ergeben hätte. 

Nehmen wir beispielsweise Sarah, Matteo Pigas erste Frau. Kaum taucht sie auf, ist sie auch schon schwups wieder weg. Wie war sie so? Wie gingen die beiden miteinander um? Wen es interessiert, für den gibt es hier etwas darüber nachzulesen: 

„Ich bin da, Tesoro mio!“, rief er auf Verdacht in Richtung Wohnstube. Eine Frauenstimme antwortete ihm von oben. Er entledigte sich seiner verschwitzten Klamotten bis auf die Unter-hose (er war vorher joggen - M.Sch) und steuerte das Bad an. Später saß er in seinem Arbeitszimmer auf einem bequemen Ledersofa, das vor einem Flipchart schräg neben der Tür stand. Matteo studierte über einem Notebook das aktuelle Fernsehprogramm.
„Was machst du?“, fragte die Stimme von vorhin. Eine junge Frau war unbemerkt von hinten an ihn herangetreten und hatte sich über ihn gebeugt. Er roch ihren Duft und fühlte ihren warmen Körper in seinem Rücken. Sie umfasste seine Schultern und schmiegte sich an ihn. Ihre langen dunklen Haare berührten seinen Hals und Nacken.
„Sarah, bitte!“ Er lächelte sanft. Dann drehte er sich rasch zu ihr um und zog sie mit einem sanften Ruck halb über das Sofa zu sich. Er küsste sie. Sie versuchte, sich seinem Griff zu entziehen, und er ließ sie gewähren. Sie lachte kurz spöttisch auf und wehrte sich spielerisch, als er erneut nach ihr griff. Dann war sie wieder auf den Füßen. Sie fasste ihn neckisch am Nacken und schüttelte ihn unsanft. Er setzte dazu an, das Sofa zu umrunden und sie zu fangen. Sie rannte einige Meter in die entgegengesetzte Richtung, griff sich ein Kissen und warf es ihm lachend entgegen. Er hatte längst abgestoppt, fing spielerisch das Kissen und beförderte es mit formvollendetem Schwung exakt in die Position auf dem Stuhl zurück, von dem es Sarah soeben entfernt hatte.
Sie schüttelte bewundernd den Kopf. „Wie du das nur immer wieder anstellst.“
„Einfach nur Können“, meinte er gestellt angeberisch und hob die Schultern. Sie drohte ihm mit gespieltem Ernst einen erneuten Kissenwurf an, legte das bereits erhobene Kissen dann aber rasch wieder auf den Stuhl zurück. Er nahm seine ursprüngliche Position ein und drehte ihr den Rücken zu. Sie näherte sich ihm erneut und fasste ihn sanft an den Schultern.
„It´s super bowl time again“, beantwortete er ihre Ausgangsfrage.
Sie nickte wissend. „Du willst es gucken, obwohl du morgen früh ein Seminar hast?“
„Klar. Das ist Pflicht.“ Er drehte sich zu ihr um und lächelte zu ihr hoch. Sie lehnte sich über seine Schulter und sah auf den Computerbildschirm. "Super Bowl 2013/2014 - Denver Broncos vs. Seattle Seahawks" stand dort ganz unten in "Programmvorschau Heute" von "Rai Due".
„Das kommt aber wirklich spät“, bemerkte sie.
„Das kommt immer spät, das weißt du doch.“ Sie strich ihm über das Haar und verließ den Raum. „Du kannst ja mitgucken, wenn du magst“, rief er ihr nach, doch sie antwortete nicht. In Gedanken versunken, lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Es dauerte eine ganze Weile, bis er aufstand, zum Schrankregal ging und sich eines der dort verwahrten Fotobücher nahm. Gezielt schlug er es auf und setzte sich. Gleich darauf ruhte sein Blick auf einem Foto, das ihn in einer Spielszene in voller Montur zeigte.
Sarah brachte Brot und Geschirr fürs Abendessen und stellte alles auf einem Tisch ab. Neugierig näherte sie sich ihm erneut. „Aha, da schwelgt jemand in Erinnerungen“, sagte sie mit einem Lächeln und einem Augenaufschlag. Sie drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Statt einer Antwort drehte er sich rasch zu ihr um, umfasste ihre Taille und Schenkel und hob sie wie eine Feder zu sich auf das Sofa. Sie stieß einen spitzen Schrei aus. Als sie im nächsten Augenblick so unverhofft neben ihm saß, boxte sie ihm spielerisch in die Seite. Er duckte sich nur lächelnd weg und deutete auf das Foto. „Das war im MetLife. Dort spielen sie heute Nacht. Wir spielten damals gegen die Giants. Haben knapp verloren, glaub ich.“
Seine Augen, die auf dem Foto ruhten, schauten einen Moment so tief und konzentriert, als wäre er wieder im Moment der Fotoaufnahme, als er gegen einen ihn blockenden Gegner den Ball in Richtung eines seiner Jungs losfeuerte.
„Warst du da noch bei diesen Cleveland – irgendwas?“, brachte ihn Sarahs Frage in die Wirklichkeit zurück. Sie deutete auf das Shirt, das er auf dem Foto trug.
„Browns – Cleveland Browns“, entgegnete er lächelnd. „Nein, da war ich schon bei den 49ers. San Francisco, weißt du.“
„Aha!“, heuchelte sie Interesse und ließ ein spitzbübisches Lachen folgen. Sie berührte sein Knie und drückte es leicht. „Auf, hilf mir bitte beim Auftragen! Wir wollen zu Abend essen.“
Später blätterte er die Unterlagen für das Seminar am nächsten Morgen durch, bei dem es um die Struktur von C*-Algebren und allgemeinere nichtkommutative Algebren ging. Was für ein Kontrastprogramm zu vorhin, ging ihm amüsiert durch den Sinn. Vom Italian Hammer, wie ihn die Zeitungen in Amerika nannten, zum theoretischen Mathematiker. Er lehnte sich zurück und schmunzelte vergnügt in sich hinein."

Wie gesagt. Dieser Text schaffte es später nicht ins Buch. Auch folgender Text sollte es nicht schaffen. Die Figur, um die es geht, taucht dafür erst im zweiten Band der Engelsjünger-Trilogie auf: Romano Fanari, ein kleiner, halbwegs sympathischer Autoschrauber auf Sardinien. Ursprünglich  erhält er, viele Jahre vor der eigentlichen Haupthandlung, Besuch von John Carpenter, einem zwielichtigen Klinikarzt aus England: 

"In Cagliari lenkte John den roten Fiat Punto rechts auf die Via Ippograte. Vor sich erkannte er die beiden wuchtigen Türme des Castello di San Michele. Er bog in ein Waldstück ein und folgte einer schmalen gewundenen Straße. Dann ging es noch mal rechts ab. Er landete auf einem Hof und stieg aus. Er trug einen weißen Leinenanzug, darunter ein gelbes Polohemd. Auf seinem Kopf saß ein cremefarbener Strohhut. Die Augen hatte er mit einer Sonnenbrille gegen die Helligkeit an diesem postkartenschönen Sommertag geschützt.

Er ließ die Szenerie auf sich wirken. Auf löchrigem Asphalt standen neuere und ältere Autos, einige erkennbar nur noch mit Schrottwert, manche unordentlich aufeinandergestapelt. An etlichen Stellen hatte die Sonne den Asphalt aufgeweicht. Vorn befand sich eine Werkstatt, über der ein windschiefes Blechschild angebracht war. Dessen Farbe war an manchen Stellen seit langer Zeit abgeblättert. Trotzdem war der Schriftzug noch zu erkennen. Officina Fanari.

Die Werkstatt bestand aus zwei Hallen. Eine voller Altreifen und Kfz-Schrott, in der anderen ein auf einer Hebebühne aufgebockter Wagen. Links von der Werkstatt türmte sich unter zwei hohen windschiefen Pinien ein weiterer Haufen Altreifen. Darauf stolzierten Hühner herum. In den Hofecken standen Eimer aus Plastik und Blech. Unter einem Autowrack, das auf verbeulten Felgen vor sich hin rostete, lag verloren ein kleiner Stapel von der Sonne verblasster Nummernschilder. Daneben befand sich eine Blechwanne, in der Reste von Altöl schwammen. Zwei Hühner hatten sich dem Wrack genähert und stolperten jetzt gackernd über einen Haufen rostbrauner Brems- und Kupplungsscheiben. Auf einer Palette lagen Teile eines Motors, notdürftig von einer Plane verdeckt.

Plötzlich erschallte aufgeregtes Hundegebell. Ein für Sardinien typischer beige-weißer Maremmano näherte sich John kläffend. Er wurde von einem der an der Hebebühne hantierenden Männer zurückgepfiffen. Der Mann trat ins Licht. Er legte schützend die Hand über die Augen, um den Neuankömmling besser zu erkennen. Dann erkannte er John.

„Mister John, wie geht es dir!“, rief er ihm freudig entgegen.
John hob die Hand und winkt ohne eine Antwort. Fanari hatte sich das Mister John in Bologna angewöhnt und nie mehr abgewöhnt. Es fiel ihm immer wieder auf, wenn er länger nicht hier war. John ging auf ihn zu und nahm die Sonnenbrille ab, um ihn zu betrachten. Er sah ein rundes, kugeliges Gesicht über kurzem speckigem Hals. Die Wangen waren dunkel von Bartstoppeln. Fanari sah aus wie immer.

„Mister John!“, sang es ihm wieder auf halber Strecke entgegen. Die kleine untersetzte Gestalt, die es intonierte, wie es nur Italiener können, eilte ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen. Dann stand Romano Fanari ihm gegenüber. Im ersten Moment wollte er John umarmen. Dann besann er sich und zog seine schmutzigen Hände zurück. Er rieb sie an seinem nicht minder schmutzigen Overall ab. Sein kleiner, aber breiter Oberkörper, der nach vorn ein sichtbares Bäuchlein warf, steckte in einem braunen T-Shirt. Auch das zeigte undefinierbare Spuren von vielen Autoreparaturen.

John war aus Sorge um seinen weißen Anzug einen Schritt zurückgewichen, doch der Mann im Overall hielt seine speckigen Oberarme und verschmierten Finger im Zaum. Er deutete nur vorsichtig in Richtung der an die Werkstatt angrenzenden ehemaligen Scheune, die er sich vor langem zur Wohnung umgebaut hatte. „Komm, lass uns gehen!“, forderte er ihn auf.
„Was macht die Liebe, Romano?“, fragte John ihn auf dem Weg, um das erste Eis zu brechen.
„Oh, die Liebe!“ Fanari rollte vielsagend die Augen und schnalzte mit der Zunge. „Ich habe jetzt eine Rosalia. Sie lebt oben in Villasalto.“ Er grinste erwartungsvoll.
„Ich weiß noch, wo das ist. Schön – schön für dich.“ Fanari bestätigte mit einem Nicken.
„Du hast am Bauch bisschen zugelegt, macht das die gute Pflege?“ Fanari schaute ihn an und zuckte lächelnd die Schultern.
„Wie lange ist das her? Drei Jahre?“ „Kommt hin“, meinte Fanari. „Pasta und Wein, du weißt“. Ergeben hob er erneut die Achseln. Fanari war gedanklich noch bei seinem Bauchumfang. John nickte wissend, war mit den Gedanken aber beim letzten Besuch. Millie war dabei gewesen. Sie beide waren damals noch nicht lange zusammen. Fanari ging kurz zu seinem Gehilfen und sagte etwas zu ihm. Dann folgten wenige Schritte zum Haus, in das Fanari ihn hineinbat.
„Geh schon mal nach drüben, du kennst ja den Weg“, meinte er, als er eine Tür im Flur ansteuerte. Er verschwand und man hörte Wasser rauschen. Nach wenigen Minuten erschien er in der kleinen, aber gemütlichen Wohnstube mit leidlich sauberem Gesicht und Händen. Außerdem steckte er jetzt in einem anderen und um Längen saubereren Overall. Das Zimmer strotzte vor Holz. Breite Holzbalken in der Decke, die wie Bahnschwellen aussahen. In der Ecke wartete ein hoch aufgeschichteter Stapel Pinienscheite auf den nächsten Winter. Davor ein wuchtiger Holztisch, an dem John Platz genommen hatte. Auf dem Tisch befand sich nichts außer einem Aschenbecher. Er enthielt keine Kippen, aber eine mehlige Schicht abgebrannter Asche. Es roch nach einer Mischung aus Lavendel und abgestandenem Rauch. Ersteres sicher die neue Handschrift von Rosalia in Form etlicher Blumentöpfe auf den Fensterbänken, die es das letzte Mal noch nicht gab.

„Einen Wein zur Begrüßung?“ Fanari zwinkerte ihm spitzbübisch zu. „Va bene“, sagte John und nickte zurück. Er wartete darauf, zur Sache kommen zu können. Doch Fanari öffnete bereits umständlich eine Flasche und schenkte reichlich in zwei große Gläser ein. „Salute“, prostete er ihm zu und genoss sichtlich den ersten Schluck. „Was macht deine rote Freundin?“, fragte er plötzlich, als er das Glas abstellte und zu ihm herübersah.„Ich denke, gut. Zumindest traf das gestern noch zu.“ John erwiderte seinen Blick. „Oh, das ist gut. – Gut für dich.“ Er schien kurz in Erinnerung zu schwelgen. „Sie – ist eine Schönheit.“ John sah ihm an, dass er seine Phantasie spielen ließ. Mit Sicherheit eine nicht ganz jugendfreie Phantasie. „Ja, das ist sie“, entgegnete er knapp. „Aber weswegen ich eigentlich hier bin -“, kam John endlich zur Sache.

„Ja – ähm - das war nicht ganz so einfach“, kam Fanari ihm zuvor. Rasch genehmigte er sich noch einen Schluck. Dann fingerte er aus einer Tasche seines Overalls eine Zigarettenpackung und beförderte eine Zigarette mit geübter Bewegung in den Mund. Er zündete sie an, inhalierte tief und blies eine Qualmwolke über den Tisch. John tat so, als störte es ihn nicht. „Wieso nicht so einfach?“, fragte er gereizt. „Hast du den Psychiater, dessen Namen ich dir gab, nicht gefunden? - Warum hast du mich dann nicht informiert?“ Seine Gesichtszüge verhärteten sich und er schaute Fanari scharf an. „Doch, doch – das schon. – Den gibt es. Er hat hier in Cagliari eine Praxis für – solche Dinge. Gar nicht weit weg von der Trattoria da Enzo. Du erinnerst dich?“

John erinnerte sich, nickte aber nur kurz. „Also was?“, hakte er ungeduldig nach.
„Nun, ja - der Name dieses Patienten von ihm“, druckste Fanari herum.
John sah ihn auffordernd an. „Matteo P!“
„Genau. Matteo Piga“, bestätigte Fanari.
„Piga?“
„Ja, Piga. - Dieser Doktor gibt mir ja nicht einfach so seinen vollständigen Namen!“ Fanari verzog das Gesicht und runzelte die Stirn. Er tat einen erneuten Zug und drückte den ziemlich heruntergebrannten Zigarettenstummel aus.
„Natürlich nicht!“, kommentierte John ungehalten seine Be-merkung. Er schaute ihn mit einem Ausdruck wachsender Ungeduld an.
„Ich - bin nicht mehr im – Geschäft, Mister John“, kam es zögerlich. „Schon lange nicht mehr.“ Es klang so, als wollte er seine Entschuldigung vorbereiten. „Ich bin jetzt ein – ehrbarer Mann!“ Er gestikulierte mit den Händen und verdrehte zur Bekräftigung die Augen.
John platzte langsam der Kragen. „Jetzt hör mir mal zu, du ehrbarer Mann!“ Er bemühte sich, einigermaßen beherrscht zu klingen. „Du warst damals in Bologna kein ehrbarer Mann und bist es auch heute nicht“, fuhr er ihn an. „Also jetzt mal Klartext. Was hast - du - für mich?“ Er betonte das du so, als pochte er ihm mit ausgestrecktem Zeigerfinger auf die Brust. John hatte sich, während er es sagte, vorgebeugt und fixierte Fanari jetzt mit funkelnden Au-gen. Er beobachtete seine Reaktion."

Drittens und letztens fiel auch folgender Text der Überarbeitung zum Opfer. Es geht um den Ring, den Anna im Alien-Raumschiff einem der Außerirdischen entwendet. In einer frühen Fassung betätigte Mike sich noch als Namensgeber.

"Der sieht wirklich toll aus“, fiel Lucy zu dem Stein ein. „Aber auch irgendwie komisch.“ Die vier betrachteten abwechselnd Ring und Stein. „S-Bahn nach Köln über Siegburg, Spich und Porz nach Köln Hauptbahnhof. Vorsicht an der Bahnsteigkante“, dröhnte es aus einem Lautsprecher schräg über ihnen. „Diasmarubin!“, meinte Mike plötzlich. Er zeigte auf den Ring und warf den Frauen einen herausfordernden Blick zu. „Ist schon gut, Mike, wir haben es verstanden“, winkte Anna ab. Diasmarubin! Aber er hat recht, dachte sie. Der Stein schimmerte tatsächlich in den Farben dreier verschiedener Edelsteine. Einfach unbeschreiblich und unvergleichlich. Sie hörten das sich nähernde Rauschen einer Bahn."

Und so weiter und so fort. Auch dieser Text, wie gesagt, ein Fall für den Papierkorb, und wieder hieß es frei nach Konfuzius "Der Weg ist das Ziel".